Vorwort (Anmerkung der BrasilAlemanha-Redaktion: dieser Text wird hier provisorisch ohne die entsprechenden Fotos publiziert)
Ohne Zweifel handelt es sich hier um einen weiteren wertvollen Beitrag zur Geschichte der deutschen Einwanderung in Santa Catarina, der Veröffentlichung verdient. Leider sind einige der beschriebenen Ereignisse allzu kurz gefasst; sie hätten eine ausführlichere Wertschätzung verdient. Dieser Mangel wird jedoch durch die am Ende des Textes angebotene reiche Bibliographie ausgeglichen. Der Text ist gerade durch seine Knappheit eine interessanteArbeit.
Es finden sich darin einige kuriose und wenig bekannte Tatsachen wie zum Beispiel ein Anreiz zur Einwanderung mit anschließender Anwerbung der Ankommenden zur Bildung einer Söldnertruppe, die das kaiserliche Heer und die Leibgarde verstärken sollten. Über das kulturelle Erbe (Überlieferungen, Architektur, charakteristische Küche, Tänze usw.) wird kurz, aber mit interessanten und lesenswerten Beobachtungen berichtet.
So hat Frau Professor Seyferth neben anderen schon veröffentlichten ausführlicheren Werken ein wenig von der eigenartigen und in der Anfangsphase durch Isolierung bestimmten Kolonisation dargestellt, die das Deutschtum und die eigensinnige (und so wichtige) Erhaltung der deutschen Sprache förderte und nur auf autoritäre Weise durch die Nationalisierung des “Estado Novo” einen Bruch erlitt. Hervorgehoben werden muss der Reichtum der von der Autorin konsultierten Bibliographie.
Udo Döhler
Deutscher Honorarkonsul in Joinville
Hans Prayon
Deutscher Honorarkonsul in Blumenau.
Ursachen der Immigration
Die ersten deutschen Einwanderer kamen im November 1828 nach Santa Catarina, also in der Anfangsphase der europäischen Kolonisation. Die brasilianische Regierung hatte die Absicht, kleine und auf Landwirtschaft basierte Familienbetriebe aufzubauen. Diese Absicht ist ersichtlich aus der brasilianischen Einwanderungsgesetzgebung seit den Verträgen zur Gründung der ersten Kolonie mit schweizer Einwanderern, die 1819 in Nova Friburgo in der gebirgigen Gegend von Rio de Janeiro ansässig gemacht wurden, und reicht bis zu Gesetzesverordnungen, die nach Ende des 2. Weltkrieges erlassen wurden. Man privilegierte die Einreise von Ackerbauern, indem man die Einwanderung in Kolonisationsprojekte teilweise mit Subsidien unterstützte. Dieser kolonisatorische Vorsatz zeigte sich unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung mit der Anwerbung von Deutschen. Aber man darf nicht die geopolitischen Beweggründe vergessen, die die Regierung zur Bevorzugung einer solchen Art der Erschließung des Territoriums veranlassten. Gleichzeitig mit Anwerbung von Kolonisten betrieb man die von Söldnern, die das Nationalheer in den Kämpfen um die Unabhängigkeit verstärken sollten, vor allem im Norden und in Grenzstreitigkeiten mit den südlichen Nachbarländern. So war die Anwerbung durch besonders dazu bestallte Agenten der brasilianischen Regierung vielleicht der stärkste Anreiz für deutsche Immigranten in der Kaiserzeit. Bis 1830 war der wichtigste Agent der deutsche Arzt Georg Anton Schäffer, eine umstrittene Figur, der vor der Unabhängigkeit im Dienste Russlands Brasilien bereist hatte und später Offizier in der Garde des Kaisers Dom Pedro I und Geschäftsträger Brasiliens in Europa wurde. Dort wurde er verantwortlich für die Anwerbung eines großen Teiles der deutschstämmigen Soldaten, die bis 1828 die ausländischen Bataillone bildeten sowie für die 1824 nach São Leopoldo und Nova Friburgo zugewiesenen Kolonisten. Auch waren die Möglichkeit zum Erwerb eigenen Landbesitzes, die von den Werbern der brasilianischen Regierung versprochenen Beihilfen (Schiffspassagen und Beihilfe zur Versorgung bei Niederlassung in Kolonisationsprojekten), Religionsfreiheit und Gewährung des brasilianischen Bürgerrechtes starke Anreize zur Auswanderung. Aber die harte Wirklichkeit des Alltags in den Kolonien, die in schwer zugänglichen Waldgebieten angelegt wurden; entsprach nicht der lobreichen Werbung des brasilianischen Kolonisa-tionssystems. Ein guter Teil der Versprechungen, die von den Einwanderern als vertraglich festgelegt verstanden wurde, konnte nicht erfüllt werden. Dies verursachte nicht nur die erneute Emigration oder Rückkehr vieler Familien, die mit den Bedingungen in den Kolonisationsgebieten unzufriedenen waren, sondern verstärkte auch die Entstehung einer in Europa gegen die Auswanderung nach Brasilien gerichteten Propaganda. Auch die Sklaverei trug zum negativen Image Brasiliens bei. Erst als durch das Gesetz Euzébio de Queiroz nach 1850 die Einfuhr von Sklaven verboten wurde, wuchs wieder das Interesse an der Immigration.
Trotz des beiderseitigen Interesses seitens der brasilianischen Regierung und der Bevölkerung aus den deutschen Staaten ließen die bekannten Schwierigkeiten aber keine spontane Immigrationsbewegung nach Brasilien entstehen. Gewiss haben Propaganda der Agenten und die von der brasilianischen Regierung versprochenen Wohltaten die Entscheidung zugunsten Brasiliens herbeigeführt; sie haben aber keine Beziehung zu den strukturellen Ursachen der großen Auswanderung, die seit Beginn des XIX Jahrhunderts Millionen von Europäern nach Amerika führte, vor allem in die USA. Brasilien empfing einen relativ kleinen Teil dieser Auswanderer. Von 1824 bis Mitte des XX Jahrhunderts kamen ungefähr 250.000 Deutsche, nach Manoel Diégues Junior also weniger als 5% der Gesamtzahl der von Brasilien aufgenommenen Ausländer.
Kriege und Grenzverschiebungen, die oftmals Bürger eines Landes zu nationalen Minderheiten machten, demographischer Druck, wirtschaftliche Veränderungen und Krisen sind die historisch wichtigsten Grundlagen der Massenauswanderung – so wenigstens lauten die Aussagen in Santa Catarina ansässigen Nachfahren deutscher Auswanderer, unabhängig davon, wann und woher sie ausgewandert waren. Für die im Munizip Gabiruba (Itajaí-Tal) lebenden und aus dem Großherzogtum Baden stammenden Familien waren maßgebend die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen des Fehlschlags der Revolution von 1848 und die durch Erbfälle verursachte fortschreitende Fragmentierung der Bauernhöfe (ein Vorgang, der sich später in Brasilien wiederholen sollte). Aber während in einigen deutschen Ländern die fortschreitende Aufteilung des Grundbesitzes die Überlebensmöglichkeiten der bäuerlichen Familien verringerte, herrschte in anderen das System des Alleinerben (der älteste oder der jüngste Sohn) vor, was die Auswanderung der Nichterben in Hoffnung auf eigenen Besitz in einem anderen Land begünstigte. Der bäuerliche Traum vom reichen Bestand an Ländereien vermehrte die Auswandererheere. Aber die Hauptursache der Emigration liegt in der schnellen Umstellung auf eine kapitalistische Produktionsweise zu Beginn des XIX Jahrhunderts. Tausende von Landarbeitern mussten die großen Güter des Landadels verlassen und sowohl Handwerker als auch unabhängige Kleinbauern fanden sich außerstande, in einer kapitalistischen Wirtschaft konkurrenzfähig zu bleiben. Außerdem fand in manchen deutschen Ländern ab 1830 eine sehr schnelle industrielle Entwicklung statt. Aus ungelernten und zum großen Teil vom Lande kommenden Arbeitern entstand ein Lumpenproletariat. Diese beiden Stände, Bauern und Arbeiter, waren beim Scheitern der Volksaufstände die eigentlichen Verlierer der Revolution von 1848. Zusammenfassend: Armut und die heftigen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen sind, wenn auch nicht ausschließlich, Ursachen der Einwanderung.
Die Wiederaufnahme der Kolonisation mit deutschen Immigranten in Südbrasilien zu Mitte des XIX Jahrhunderts fiel (in Deutschland) in eine Zeit der Krise, verursacht durch Missernten, Landflucht (vor allem in Preußen) und dem Zusammenbruch der 48er Revolution. Die in offiziellen Dokumenten vorliegenden (Einwanderer) Listen weisen auf ein Vorherrschen von Handwerker und Bauern unter den Einwanderern von Santa Catarina hin. In den Einwanderungszentren ließen sich auch ehemalige Soldaten, Facharbeiter, Freiberufler, Lehrer und Menschen aus dem Mittelstand mit gewisser Schul- oder Berufsausbildung nieder. Letztere hatten aber wenig gemein mit der durch die brasilianischen Gesetze privilegierten Landwirtschaft.
Aus der Statistik der deutschen Einwanderung in Brasilien wird jedoch ersichtlich, dass das größte Ausmaß der Einwanderung in den zwanziger Jahren des XX Jahrhunderts erreicht wurde, also nach dem 1. Weltkrieg und im Zeichen der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise der Weimarer Republik. Diese Immigranten fanden nur selten den Weg in Kolonisationsgebiete. Sie verblieben in den Städten und viele gingen in den dreißiger Jahren wieder nach Deutschland zurück.
Die deutschen Kolonien in
Santa Catarina
Die Lokalisierung der ersten deutschen Einwanderer in Santa Catarina veranschaulicht das geopolitische Vorhaben zur Besiedlung herrenloser Ländereien im Süden des Landes. Die erste Kolonie, São Pedro de Alcântara, entstand 1829 im Tal des Maruí-Flusses, am Weg der Maultierkolonnen von São José, einer an der Küste gelegenen Ortschaft in der Nähe der Hauptstadt Desterro, nach Lages, einem auf der Hochebene gelegenen Städtchen. Im selben Jahr wurde eine kleine Gruppe von Deutschen unter den gleichen Verhältnissen in Mafra, am Ufer des Rio Negro an der Grenze von Paraná, angesiedelt. Der Ort lag am Maultierweg von Lages nach Curitiba. São Pedro de Alcântara empfing weniger als tausend Menschen – 166 aus der Hansestadt Bremen stammende Familien und etwas mehr als hundert aus den Fremdenbataillonen entlassene deutsche Soldaten, die 1828 in Rio de Janeiro gemeutert hatten.
Kurz danach, 1830, hörte die Einwanderung auf, denn die Ausgaben für Anwerbung und Ansiedlung von Kolonisten wurden durch Gesetz verboten. Der 1835 beginnende Krieg “Guerra dos Farrapos” erschwerte auch das Kommen neuer Einwanderer trotz Interesse der Provinzregierung an Fortsetzung des Kolonisa-tionsvorhabens. Um 1830 wurden viele Kolonisten, die mit den Lebensbedingungen in São Pedro de Alcântara unzufrieden waren, in neue Siedlungsgebiete in den Tälern des Itajaí und des Cubatão (in Vargem Grande) umgesiedelt. Die Wiederaufnahme der Einwanderung geschah im Jahr 1847 mit der Gründung der Kolonie Santa Izabel am Cubatão-Fluss. Dies geschah vor dem Hintergrund einer historischen Debatte über ein neues Ländereiengesetz und Stärkung der diplomatischen Beziehungen zur Regierung Preußens. Der Vicomte von Abrantes, Geschäftsträger des brasilianischen Kaiserreichs in Berlin, war ein Befürworter von Gesetzesänderungen, um größere Einwandererscharen für die Kolonisation zu gewinnen. Er betrachtete die Deutschen als die für diesen Zweck am besten geeigneten Landwirte Europas.
Die Verabschiedung des Gesetzes Nr. 601 im Jahr 1850, das so genannte “Ländereiengesetz”, und dessen Ausführungsbestimmungen im Jahr 1854 wirkten sich maßgeblich auf die Einwanderung aus und stellten Kriterien für den Verkauf öffentlicher Ländereien auf, die jetzt auch Ausländern zur Verfügung standen. Es legte auch Richtlinien für die Lage in Kolonisationsgebieten fest und gab den Provinzen Raum für eigene Initiative, indem es diesen einen Teil der Verfügung über herrenlose Ländereien übertrug. Auch an Kolonisationsvorhaben interessierte, selbst Ausländern gehörige Privat-unternehmen, wurden berücksichtigt. Dieses Besiedlungssystem, für die europäische Einwanderer unter Bevorzugung der Deutschen privilegiert wurden, sonderte die Immigranten von der nationalen Gesellschaft ab und verbrachte sie in Gebiete außerhalb der der Großgrundbesitzer. Beispielhaftes Ereignis in Santa Catarina wurde die Gründung von Blumenau und Ausgangspunkt für die Besiedelung des Itajaí-Tales. Im September 1850, kurz vor Verkündigung des Ländereiengesetzes und im Interesse der Provinzen an privaten Kolonisationsinitiativen, gründete der deutsche Chemiker Hermann Blumenau mit 17 Einwanderern die Kolonie, die seinen Namen tragen sollte. Vorausgegangen waren zwei Erkundungsreisen in den Jahren 1847 und 1848, die er als Vertreter einer Gesellschaft zum Schutz der Einwanderer in Brasilien durchführte. Trotz seiner Anstrengungen und der über die Kolonie verbreiteten Propaganda hatte Blumenau keinen großen Erfolg in der Anwerbung von Landsleuten. Zehn Jahre nach Gründung fanden sich in der Kolonie 943 Einwohner, deren Mehrzahl evangelisch-lutherisch war, also Protestanten, die angesichts der Macht der katholischen Kirche in Brasilien Einschränkungen ausgesetzt waren.
Angesichts der typischen Probleme für ein privates und mit geringen Mitteln ausgestattetes Unternehmen und der Schwierigkeit, genügend Einwanderer für die Besiedelung der ganzen Gegend anzuwerben, übertrug Blumenau seine Kolonie der Provinz Santa Catarina. Trotz dieser “Übergabe” behielt er zusammen mit seinen Mitarbeitern und Freunden, darunter Naturforscher Fritz Müller, die Führung. Von da an wurde der “Stadtplatz”, wie die kleine Ortschaft Blumenau von ihren Bewohnern genannt wurde, zum Mittelpunkt der Kolonisation im Becken des Itajaí-Flusses. Der Zustrom der Deutschen wuchs und von Mitte der siebziger Jahre an trafen auch Einwanderer anderer Nationen ein, vor allem Italiener und Polen. Blumenau besaß im Jahr 1883 bereits 20.000 Einwohner und hatte seine munizipale Unabhängigkeit erworben. Es wurde als eine der erfolgreichsten deutschen Kolonien angesehen und stets in den offiziellen Dokumenten und in der Propaganda der brasilianischen Regierung erwähnt. Daher war es sowohl im Inland wie in Europa bekannt und war wegen seiner kulturellen Eigenart und ethnischen Identität auch Ziel großer nationalistischer Polemik. Damals waren mehr als 70% der Bevölkerung deutscher Herkunft und nur 10% sprachen Portugiesisch.
Der andere wichtige Mittelpunkt der Kolonisation in Santa Catarina entstand gleichfalls aus einer Privatinitiative: die Kolonie Dona Francisca, das künftige Joinville, 1851 gegründet durch die Hamburger Kolonisations-gesellschaft. Die Gesellschaft wurde 1849 durch den Prinzen von Joinville in der Absicht gegründet, europäische Einwanderer auf dem Gebiet anzusiedeln, das er in der Nähe der Ortschaft São Francisco, im Nordosten von Santa Catarina, anlässlich seiner Hochzeit mit der Prinzessin Dona Francisca, Schwester des Kaisers Dom Pedro II, als Mitgift erhalten hatte. Vielschichtig in Hinsicht auf Herkunft der ersten Einwanderergruppen – die ersten Immigranten waren in der Mehrzahl Schweizer und Norweger – entwickelte sich die Kolonie Dona Francisca bald zu einer weiteren “deutschen Kolonie”. Die Verwaltung wurde von Vertretern des Prinzen von Joinville ausgeübt, des eigentlichen Besitzers der kolonisierten Gegend.
Die Bedeutendsten unter diesen waren Eduard Schroeder, Leonce Aubé und J.O.L. Niemeyer. Das Kolonisations-unternehmen dehnte die Kolonie bis zur Hochebene aus, öffnete neue Verbindungswege wie die Straße Dona Francisca und gründete neue Zentren wie São Bento do Sul. Sukzessive Verträge erlaubten die Einreise weiterer Immigranten, meist Deutschen. Die Ausbreitung Joinvilles ging schnell vor sich: 1866 erhielt es den Status eines Munizips und 1877 wurde es als Stadt anerkannt. Da hatte es schon Anfänge eines Industrialisierungsprozesses aufzuweisen.
Im Jahr 1860 begann durch Initiative der Provinzregierung die Besiedlung des Itajaí-Mirim-Tales mit Niederlassung der ersten deutschen Einwanderer in der Kolonie Itajaí, später Brusque genannt. Die Kolonie wurde vom Österreicher Maximilian von Schneeburg in Diensten der kaiserlichen Regierung verwaltet. Es wurde der drittwichtigste Mittelpunkt der deutschen Kolonisation in Santa Catarina. Dorthin wurden auch Immigranten verschiedener Herkunft geleitet, darunter Franzosen und Iren, die später wieder abgingen, und Italiener. Es verblieb letztendlich aber eine Mehrheit von Deutschen. In einigen der dortigen Kolonieschneisen, hauptsächlich dem Lauf des Guabiruba-Baches folgend, konzentrierten sich aus Baden stammenden Bauern, die dort 1860 und 1861, also gleich nach Gründung der Kolonie Itajaí, siedelten. Im heutigen Munizip Guabimba wird noch der von diesen Einwanderern mitgebrachte Dialekt gesprochen. Infolge seiner Bevölkerungsdichte und wirtschaftlichen Entwicklung erwarb Brusque schon 1881 seine munizipale Unabhängigkeit.
So können Blumenau, Joinville und Brusque als die drei wichtigsten aus der deutschen Einwanderung hervorgegangenen Städte bezeichnet werden. Tatsache ist, dass die Niederlassung von Einwanderern bis in die ersten Jahrzehnte des XX Jahrhunderts weiter fortschritt, sei es unter der Verwaltung von Kolonisationsunternehmen oder der “Inspetoria de Terras e Colonização” (Name der Kolonisationsbehörde der Provinz/Bundesstaat Santa Catarina). Unter ihr entstand z.B. 1879 die Kolonie Jaraguá, eine räumliche Verbindung zwischen Blumenau und Joinville. Während der “ersten Republik” (1889 - 1930) verstärkten private Unternehmen, wie die 1897 gegründete Hanseatische Kolonisationsgesellschaft (Nachfolger der Hamburger Kolonisationsgesellschaft) die Kolonisierung des oberen Itajaí-Tales und der Hochebene. Diese Gesellschaft gründete unter anderen 1898 die Kolonie Harmonia, das heutige Ibirama. Ein Teil der Kolonisten kam aus älteren Siedlungsgebieten.
Deutsche Immigranten und hauptsächlich deutsch-stämmige Kolonisten aus den “alten Kolonien” von Rio Grande do Sul spielten auch eine wichtige Rolle bei der Kolonisierung des Hochlandes von Santa Catarina, die nach Grenzstreitigkeiten mit Paraná und als “Guerra do Contestado” bekannten Episode verstärkt wurde. Dies ging teilweise einher mit dem Bau der Eisenbahnlinie São Paulo – Rio Grande. Verschiedene Privatunternehmen, die große Landkonzessionen zu Kolonisationszwecken erhielten, wirkten im Mittleren und Äußersten Westen, einschließlich der “Brazil Development and Colonization”, ein Zweigunternehmen der Eisenbahnbaugesellschaft. Dort sind ethnisch homogene Kolonien eher selten, aber es gibt es im Westen Fälle größerer Konzentration von Deutschen und deren Nachkommen wie die 1925 gegründete Kolonie Porto Novo, heute Itapiranga. Der “Volksverein für deutsche Katholiken”, eine vom Jesuitenpater Theodor Amstad gegründete Vereinigung, bezweckte dort die Ansiedlung des Überschusses der katholischen bäuerlichen Bevölkerung aus den älteren Kolonisationsgebieten von Rio Grande do Sul. Ähnliches geschah in Palmitos, wo zu Anfang der dreißiger Jahre (des XX Jahrhunderts )eine Kolonie aus evangelisch-lutherischen Familien entstand. In der Gegend des Rio do Peixe verdient der Kolonisationsversuch des Österreichers Andreas Thaler Erwähnung, der 1933 dort mit Tirolern Dreizehnlinden (Treze Tílias) gründete. In dieser Gegend des Mittleren Westens begannen um dieselbe Zeit auch zwei deutsche Einwanderer, René und Arnolds Frey, mit verschiedenen wirtschaftlichen Unternehmen, u.a. Obstanbau mit Schwerpunkt Apfelbäumen, was zum Entstehen des Munizip Fraiburgo führte.
Die hier genannten, wenn auch sicher unvollständigen Fakten unterstreichen die Bedeutung der Deutschen an der Kolonisierung von Santa Catarina. Je nach Umstand hatten sie Vorrang bei dieser Art der Inbesitznahme des Bodens, wenn auch brasilianische Behörden, Meinungsmacher und die Führungskräfte der Kolonisation sich über diesen Punkt nicht einig waren. Einerseits brachte man als Beweis ihre Tüchtigkeit, landwirtschaftliches Können und Erfolg einiger Kolonien ein; andererseits sprachen Kritiker der deutschen Einwanderung fortwährend von der “Bildung von Volkszysten” sowie von kultureller und sprachlichen Distanz, kurz von Assimilationsproblemen. Trotzdem stellt man bei zahlenmäßiger Betrachtung der Einwanderungsströme (Emilio Willems, einer der bedeutendsten Kenner des Themas, spricht von deutschsprachigen Einwanderern ) bis ca. 1930 auch in Santa Catarina eine gewisse Kontinuität fest. Heute finden wir die stärkste Konzentration der Nachkommen im Itajaí-Tal und in der Gegend von Joinville, der bevölkerungsreichsten Stadt und wirtschaftlicher Mittelpunkt des Staates. Es muss jedoch festgestellt werden, dass Immigranten und aus älteren Kolonisationsgebieten gekommene Familien gleichen Anteil an der Kolonisierung des Westens (von Santa Catarina) haben.
Die Kolonisation von Santa Catarina, besonders nach 1850, geschah durch Konzession von ungefähr 25 Ha. großen Familien-Parzellen, die von “Linhas”, d.h. in die Wälder geschlagene Schneisen, ausgehend vermessen wurden und dabei oft Wasserläufen folgten. Dabei herrschte ein System vor, welches der Geograph Leo Waibel “in Reihen verstreute ländliche Siedlungen” (Reihen- oder Straßendörfer) nennt. In jeder Kolonie begann die Inbesitznahme der Ländereien von einem Zentrum aus, das als “städtisches Gebiet” vermessenen war. Von ihm ausgehend folgten die “Linhas” den Bächen oder Flüssen und entfernten sich so progressiv vom “Kern”, der als Ort für Handel, Handwerk, Verwaltung, Kirchen, Schulen, und allgemeine Dienstleistungen angelegt war. Diese Art der Landnahme macht sich noch heute in der Anlage mancher Städte, vor allem im Itajaí-Tal, bemerkbar. Die Kolonisten erhielten ihre Parzellen durch Kauf und gegen Abzahlung der so genannten “Kolonialschuld”. In fast allen Gegenden wurde die Kolonisation fortlaufend durchgeführt, manchmal auch mit einem Überschuss an Immigranten, die auf ihre Konzession warteten. Hauptsächlich im XIX Jahrhundert gab aber der unbefriedigende Zustand in den meisten Kolonien Grund zu offenen Konflikten mit der Verwaltung und führte zur Abwanderung ganzer Gruppen – dies im krassen Gegensatz zur lobreichen Idealisierung der “Berufung zum Pioniertum” und Verweis auf die wirtschaftliche Entwicklung (der Kolonien). Dieses durch Staat und die o.g. Privatunternehmen kontrollierte System war labil und führte zu großer Mobilität der Einwanderer.
Die Kolonisation war als vollkommenes System geplant und hatte sogar die Gebiete für die zukünftigen Städte zugewiesen. Aber die Bürokraten sahen nicht die Schwierigkeiten voraus, die sich aus Vermessung der Parzellen und Ansiedlung der Einwanderer in gebirgigen, nicht immer für Landwirtschaft geeigneten Urwaldgegenden entgegenstellten. Trotz unzähliger Probleme setzte hier aber ein historischer Vorgang ein und es bildete sich eine deutsch-brasilianische Bauernschaft heraus, deren wirtschaftliche Basis die familieneigene Kolonie-Parzelle mit breit gefächerter Produktion war und die zu einer differenzierten Gesellschaft in der brasilianischen Landwirtschaft wurde.
Auf der anderen Seite entwickelten sich die vorher beschriebenen “Kerne” tatsächlich in den Gebieten, wie es die Kolonialprojekte vorgesehenen hatten. Dort konzentrierten sich Handel, Dienstleistungen sowie die gesellschaftlichen, kulturellen, schulischen und religiösen Aktivitäten. Sie bildeten Anziehungspunkte für viele Kolonisten, vornehmlich der zweiten Generation, die Arbeitsalternativen außerhalb der Landwirtschaft suchten. Und tatsächlich begann die systematische Industrialisierung von Santa Catarina in den Gegenden der deutschen Kolonisation. Dort gab es neben Gerbereien, Bierbrauereien, Stellmachereien, Schmieden usw. bereits viele kleine handwerkliche Betriebe zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. Einwanderer, die mit landwirtschaftlichen Produkten handelten, erlebten einen raschen gesellschaftlichen Aufstieg und häuften genügend Kapital an, um die Industrialisierung einzuleiten - zeitgleich mit dem Wachstum der städtischen Zentren im Itajaí-Tal.
Die ersten nicht mit landwirtschaftlicher Produktion verbundenen Industrien entstanden um 1880. In Blumenau waren es die von den Gebrüder Hering, Johann Karsten, Heinrich Hadlich und Gustav Roeder gegründeten Textilindustrien. In Brusque entstand die erste Weberei 1892 durch Initiative des deutschen Kaufmanns Carlos Renaux. 1898 errichtete Eduardo von Buettner, ebenfalls Kaufmann, eine Stickereifabrik, die Ursprung des zweitgrößten Textilunternehmens am Ort wurde. Die drittgrößte Textilindustrie hatte einen eher handwerklichen Ursprung und wurde 1911 von Gustav Schloesser, einem aus dem polnischen Lodz ausgewanderten Weber, begründet.
Der aus Sachsen stammende Weber Carl Gottlieb Döhler gründete 1881 die erste Gewebemanufaktur in Joinville. In der Industrialisierung des Itajaí-Tales dominierte die Gewebeherstellung, die auch für Joinville wichtig wurde. Hier setzte aber eine Diversifikation der Industrie ein. Noch im XIX Jahrhundert entstanden metallverarbeitende Fabriken, beginnend 1886 mit K.E.Auerbach. Daneben entwickelte sich die Lebensmittelindustrie zu Ende des XIX Jahrhunderts mit der Fabrik von J.G.Stein und die Zelluloseverarbeitung mit der Gründung einer Papier-, Schmirgel- und Leimfabrik 1903 durch Gotthard Kaesemodel.
Die Unternehmer rekrutierten die Mehrzahl der Fabrikarbeiter unter den Kolonisten, während der Mangel an ausgebildeten Technikern mit aus Deutschland herbeigeholten Einwanderern behoben wurde. Das Wachstum der Industrie, vor allem nach dem 1. Weltkrieg, trug zur Expansion der Städte bei. Es bildeten sich Arbeiterviertel, die nahtlos in das ländliche Umfeld übergehen (noch heute), weil viele Lohnempfänger ihr Familieneinkommen durch landwirtschaftliche Tätigkeiten aufbessern.
Nach Aussagen von Historikern ist die deutsche Kolonisation in Santa Catarina unter allen Gesichtspunkten ein Erfolg geworden, trotz der von den Pionieren zu bestehenden Schwierigkeiten und der 1937-45 erfolgten Unterdrückung durch den Nationalisierungsfeldzug des Estado Novo. Die im XX Jahrhundert konsolidierte Industrialisierung eröffnete einen neuen Arbeitsmarkt für eine Landbevölkerung, die nun erste Schwierigkeiten zum Landerwerb wegen Sättigung des Kolonisationsmodells von 25 ha hatte.
Wirtschaftliches und städtisches Wachstum, einhergehend mit neuen politischen Bestrebungen aufgrund der Bildung von neuen Gemeinden (seit 1880), der alltägliche Gebrauch der deutschen Sprache und der Erhalt von deutschen Werten und Bräuchen sowie die aus der Kolonisation hervorgegangene neue sozial-kulturelle Zusammensetzung - dies alles machte die vorherrschend von Deutschen besiedelten Gebieten in Santa Catarina weithin bekannt.
Gemeindeorganisation, ethnische Identität und der Nationalisierungs-Feldzug
Die auf Erhaltung der Bräuche, Kultur und Muttersprache ausgerichtete Tätigkeit der Gemeinden war bis 1930 sehr intensiv. Diese ethnisch bestimmten Gegebenheiten wurden für die brasilianischen Nationalisten zum wichtigsten Stein des Anstoßes und der Hauptgrund für ein - gelegentliches - konfliktgeladenes Zusammenleben, das schließlich in den Nationalisierungsfeldzug gipfelte.
In der Pionierzeit hatten die Einwanderer im allgemeinen nur wenig Kontakt zur brasilianischen Gesellschaft. Während der Kolonisierung verblieb eine mehrheitlich aus Ausländern bestehende Bevölkerungsgruppe in einer gewissen Isolation. Die Regierung und die Kolonisationsunternehmen sorgten für eine minimale – in den meisten Fällen ungenügende – Infrastruktur an öffentlichen Dienstleistungen. Die Demarkation der Linhas und der Kolonie-Parzellen sowie der Ausbau der Verkehrswege blieb zu diesem Zweck angestellten Kolonisten überlassen. Die Berichte der Koloniedirektoren erwähnen häufig Mangel an Schulen, medizinischer Versorgung und Priestern etc. Das Fehlen dieser Dienstleistungen spornte die Kolonisten dazu an, ihre Probleme gemeindschafltich zu lösen. So entstand die “deutsche Schule”, zu Anfang eher eine häusliche Alphabetisierung, die durch besser gebildete Kolonisten geleitet und Basis für die ländliche Gemeindeschule wurde. Später bildeten diese deutschsprachigen Privatschulen ihre eigenen Verbände, die größtenteils den katholischen und evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden angeschlossen waren. Diese schulische Organisation wurde das wichtigste Ziel des Nationalisierungsfeldzugs, weil sie als ein Hindernis für die Assimilation angesehen wurde, indem sie das Lernen einer ausländischen Sprache zum Nachteil der Landessprache ermöglichte. Gewiss spielte die “deutsche Schule” – die eigentlich nicht aus ethnischen Motiven entstanden war – eine wichtige, aber nicht entscheidende Rolle in der Weitergabe der deutschen Sprache und kulturellen Werte. Unter diesem Gesichtspunkt hatten die im XIX Jahrhundert in fast allen Kolonien bestehenden gesellschaftlichen, sportlichen und kulturellen Vereine das Alltagsleben der Einwanderer und ihrer Nachkommen seit den Pionierzeiten geprägt. Unter ihnen hatten der “Schützenverein”, “Turnverein” und “Gesangverein” (oder “Sängerverein”) eine besondere Bedeutung. Ihr geselliger Zweck war offensichtlich; jedoch betonten Eigenheiten und Hingabe an kulturelle Werte des Herkunftslandes mit Theatervorstellungen, Gesang und Tanzveranstaltungen eine gemeinsame Identität. Die große Zahl solcher Vereine hat manche Reisende, die bis 1930 Santa Catarina besuchten, beeindruckt. Sie berichten von deren deutscher Art, die von einigen Nationalpropheten noch überbetont wurde, indem sie sie rhetorisch übertreibend als vaterländisch-kulturelle Vereine bezeichneten.
Auch die deutschsprachige Presse besaß eine herausragende Position als Verbreiter des Deutschtums und auch für das politische Anliegen der deutschbrasilianischen Elite. Die wichtigsten Zeitungen erschienen im XIX Jahrhundert und wurden während des Nationalisierungsfeldzugs endgültig geschlossen. Die erste Nummer der Kolonie-Zeitung von Joinville erschien 1862 – es ist die älteste von Santa Catarina und diejenige, die am längsten herausgegeben wurde. Ihr Gründer und wichtigster Redakteur war Ottokar Dörffel, ein Flüchtling aus der Revolution von 1848. Im Jahr 1881 gründete der Drucker Hermann Baumgarten die “Blumenauer Zeitung” – die erste im Itajaí-Tal. Etwas später, 1883, erschien eine weitere Zeitung, “der Immigrant”, die zum Sprecher der Liberalen Partei wurde, besetzt mit drei Redakteuren und unter ihnen der Naturwissenschaftler Fritz Müller. Eigentümer war der Drucker B.Scheidemantel. Diese Zeitung erschien nur bis 1891. Deren Eigentumsrechte und Druckerei bildeten den Grundstock für die Gründung der polemischsten aller deutschen Zeitungen: “Der Urwaldsbote” in 1893. Pastor Faulhaber gab diese Zeitung im Namen der evangelisch-lutherischen Gemeinde in Blumenau heraus. Es gelang ihm aber nicht, sie aus politischen Streitigkeiten herauszuhalten. Er übertrug die Redaktion dem in Rechtswissenschaften ausgebildeten deutschen Einwanderer Eugen Fouquet, der der Zeitung einen stärkeren germanischen Einschlag aufzwang. Deutschtum wurde das am eindringlichsten behandelte Thema, was Kritik in der brasilianischen Presse auslöste, erst recht nachdem der Drucker G.A.Köhler 1898 die Zeitung erwarb. Andere Zeitungen waren kurzlebiger und erreichten eine geringere Leserschaft. Sie hatten aber durch den politischen Ehrgeiz ihrer Redakteure und Eigentümer das gleiche Profil. Sie vertraten die Interessen der deutschbrasilianischen Bevölkerung und zeichneten sich durch eine dem Deutschtum entsprechende Rhetorik aus und veröffentlichten Lokalnachrichten. Unter ihnen sind die “Rundschau” in Brusque, die “Joinvillenser Zeitung” und der “São Bento Anzeiger” zu nennen.
Der Einfluss der Zeitungen zeigt auch die Frage nach politischer Vertretung der aufstrebenden deutschbrasilianischen Elite mit ihren bürgerlichen Rechten in den neu entstandenen Munizipien auf. Dies wurde vor allem nach 1889 möglich, weil das republikanische Regime die Naturalisierung der Einwanderer erleichterte und vollständige Religionsfreiheit gewährte. Dies begünstigte auch die Protestanten, die durch die Macht der katholischen Kirche als Staatskirche im Kaiserreich in ihren Zivilrechten eingeschränkt waren.
Einige deutschbrasilianische Persönlichkeiten traten nach Ausrufung der Republik in der Politik Santa Catarinas auf, beginnend mit Lauro Müller. 1863 in Brasilien geboren, besuchte er im Alter von 19 Jahren die Militärschule in Rio de Janeiro. 1889 war er Ingenieurleutnant und Adjutant bei Marschall Deodoro da Fonseca (künftiger bras. Präsident). Diesem Umstand verdankte er, dass er nach Verkündung der Republik (1889) zum Gouverneur von Santa Catarina ernannt wurde. Es wurde der Beginn einer politischen Laufbahn, die ihm die Ernennung zum Außenminister einbrachte. Das Amt musste er 1917 unter dem unerbittlichen Druck der Nationalisten infolge der Ausweitung des 1. Weltkrieges aufgeben.
Bis zur Aufteilung in 1930 bildete das Munizip Blumenau den größten Wahlkreis in Santa Catarina. Unternehmer und kulturelle Eliten aus Joinville und Brusque, die neben anderen Kolonien wirtschaftliche Bedeutung hatten, forderten unter dem Vorwand örtlicher Interessen größere Beteiligung am politischen Geschehen. Ihr Eintritt in das brasilianische Parteisystem hatte eine deutschbrasilianische Vorherrschaft in den Stadtverwaltungen und Stadträten zur Folge. Über lokale Grenzen hinaus haben sich in der Politik des Staates Santa Catarina (Deutschbrasilianer) einen Namen gemacht: Felipe Schmidt, der wie Lauro Müller Offizier des brasilianischen Heeres war und zum Gouverneur aufstieg: die Brüder Vitor und Adolfo Konder, deren Gruppe die politische Szene des Staates bis 1930 beherrschte und Irineu Bornhausen, der der Familie Konder verbunden war und von 1951–1956 den Bundesstaat regierte.
Parteipolitisches Engagement, das in Zeit der Republik einige Persönlichkeiten an hohe Stellen im Nationalparlament führte, wirtschaftliches Wachstum und sogar Presseberichterstattungen belegen die Integration der Koloniegebiete in die “neue Heimat”, einen bis zur Hälfte des XX Jahrhunderts gebräuchlicher Ausdruck. Gleichzeitig wird die kulturelle Eigenheit (der neuen Heimat) und die ethnische Verbundenheit mit der “Urheimat” betont.
In seiner 1946 veröffentlichten Untersuchung über die kulturelle Eingliederung der Deutschen in Brasilien gebrauchte Emilio Willems, ein deutscher Sozialwissenschaftler, der zu Beginn der dreißiger Jahre des XX Jahrhunderts nach Südbrasilien auswanderte und bis zur Berufung an die “Escola de Sociologia e Política” in São Paulo Lehrer in Brusque und Florianópolis war, den Ausdruck hybride Kultur. Damit beschrieb er die soziokulturelle Besonderheit in Gegenden mit überwiegend deutschen Einwanderern. Der Autor nannte diese hybride Kultur deutschbrasilianisch, eine in der deutschsprachigen Presse und unter den Eliten der Kolonien weit verbreitete Bezeichnung über die die Zugehörigkeit zur deutschen Ethnie und zur brasilianischen Bürgerschaft. Dieser Begriff setzt sowohl beim Entstehen der deutschbrasilianischen Identität als auch in der Auffassung von Willems die Verbindung der von den Deutschen eingebrachten kulturellen Elemente mit Elementen der brasilianischen Kultur voraus, einschließlich Berücksichtigung neuer kolonisations-bedingter Eigenheiten.
Im Jahrzehnt nach 1930, in welchem die deutsche Einwanderung nachließ und die brasilianische Regierung ihr Nationalisierungsprogramm einführte, zeugen Gesellschafts- und Kulturvereine, das private Schulsystem mit Deutschunterricht, Deutsch als Umgangssprache überhaupt und die zahlenmäßige Bedeutung der evangelisch-lutherischen Gläubigen von den typischen germanischen Eigenheiten in verschiedenen Gemeinden. Dies vor allem im Itajaí-Tal, das durch seine politische Relevanz während der ersten Republik am stärksten ins Blickfeld geraten war. Indessen hat, wie Willems feststellte, selbst die von der deutschbrasilianischen Bevölkerung verwendete Sprache auf wichtige Änderungen hingewiesen. Sie war in Wirklichkeit ein in Brasilien entstandener Dialekt mit bedeutenden grammatikalischen Veränderungen und Einverleibung von “eingedeutschten” brasilianischen Worten - also ein Produkt der Immigration. In der Praxis ist sie ein Element der deutschbrasilianischen Kultur, das ihre Benutzer sowohl von ihren deutschen Vorfahren wie von ihren brasilianischen Landsleuten unterscheidet. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal, in Bezug auf das Itajaí-Tal häufig von brasilianischen Autoren erwähnt, ist die “Wohnkultur”. Gebäudestil und Organisation des häuslichen Raums ist ein dem “deutschen Kolonisten” eigener Lebensstil und Ethos, wobei “Kolonist” allgemein als Einwanderer zu verstehen ist.
Der Begriff des Lebensstils geht noch weiter. Er schließt das Gesellschaftsleben und die schon erwähnte Wohnkultur ein, aber auch punktuelle Aspekte der kulturellen Eigenheit, wie zum Beispiel Ernährungsgewohnheiten. Es gibt viele Berichte über die Anpassungsschwierigkeiten der Kolonistenpioniere am (nationalen) Speisezettel, bestehend aus schwarzen Bohnen, Maniokmehl und Dörrfleisch - wie es in den Einwandererherbergen angeboten wurde. Tatsächlich passte sich im Laufe der Zeit die von den Einwanderern mitgebrachte Küche den Produkten der lokalen Landwirtschaft an - außer Einführung des Gartenbaus. Der Apfelstrudel wurde zum Bananenstrudel (Apfelanbau begann in Brasilien erst in der zweiten Hälfte des XX Jahrhunderts), Kornbrot wurde durch Maisbrot ersetzt, in dem der Teig (oft) mit Süßkartoffeln und Cará gemischt wird; gekochter Maniok wurde so allgemein gebräuchlich wie die Kartoffel und die brasilianischen Früchte wurden zu einer “Schmier” oder “Mus” benannten Art von Marmelade verwendet. Neben den kulinarischen Umstellungen, die viel zahlreicher sind als diese wenigen Beispiele vermuten lassen, entstanden in den meisten Koloniestädtchen, vor allem im Itajaí-Tal und Joinville, kleine Fabriken, die Bier, Sauerkraut (im Volksmund Xucrute), Würste, geräucherten Schinken und Konserven mit sauren Gurken und Rote Beete herstellten. Und am Sonntagstisch durfte der Obstkuchen nicht fehlen. Einige dieser Fabriken sind heute zu großen Unternehmen geworden, wie z.B. Hemmer in Blumenau. So bewahrten die Nachkommen viele der urväterlichen Speisegewohnheiten, einige notwendigerweise an das brasilianische Umfeld angepasst. Und sie übernahmen auch von anderen Einwanderergruppen – vor allem Italienern – Elemente wie z.B. die allgemein verbreitete Polenta. So ist die koloniale Küche eine seltsame Mischung aus hergebrachten Bräuche verschiedener Ethnien mit Übergewicht der deutschen und italienischen.
Reisende, Journalisten und Offiziere, die bis 1940 die deutschen Kolonien Santa Catarinas durchquerten und Einblicke in das tägliche Leben erhielten, berichten mit Erstaunen über den wirtschaftlichen Fortschritt und waren gleichzeitig verwundert über den Mangel an “Brasilianität”. Sie empfanden die “deutschen Kolonien” als von der nationalen Realität abweichende Orte. In den dreißiger Jahren waren die für Mitteleuropa charakteristischen Fachwerkbauten überall zu finden und es überwog der Gebrauch der deutschen Sprache - einschließlich in Anzeigen und Firmenschildern der Geschäfte, in Krankenhäusern und anderen öffentlichen Gebäude. Das Fahrrad war ein allgemein gebräuchliches Verkehrsmittel, vor allem für die Arbeiterklasse. Ganze Familien besuchten Vereine und andere öffentlichen Anstalten, was die Bedeutung eines Vereinslebens betonte. Es gab Schulen mit ausschließlich deutschsprachigem Unterricht und eine Presse, die die deutschbrasilianische Identität verteidigte und das Deutschtum beschwörte. Dies sind nur einige Hinweise auf eine soziokulturelle Besonderheit und ethnische Zugehörigkeit. Sie gefährdeten die Assimilation einer als fremdartig angesehenen Bevölkerung. Mit gewissem Übermut schlugen einige der “Nationalisten” von 1937 vor, die “gotischen” Inschriften auf den Grabsteinen zu ersetzen, um ihnen die “deutsche Eigenart” zu nehmen.
In dieser Zeit war auch eine Nazi-Präsenz in Santa Catarina, einschließlich Schulen und Presse, sichtbar. Dies schaffte neue Anreize zu assimilatorischen Eingriffen in die deutschbrasilianischen Institutionen. Vorschläge zur Intervention in Gemeindeeinrichtungen und zum Verbot des öffentlichen Gebrauchs der deutschen Sprache waren schon seit Ende des XIX Jahrhunderts nicht ungewöhnlich. Damals war eine pangermanische Propaganda offenkundig, die einen Wesenszwiespalt betonte, einerseits das Deutschtum und andererseits die Zugehörigkeit zum neuen brasilianischem Vaterland. Dem brasilianischen Nationalismus erschien diese Art des Selbstverständnisses unpassend und Gegenden wie das Itajaí-Tal wurden als “ethnische Zysten” eingestuft, obwohl soziologische Untersuchungen eine Umkehr der Assimilation in die brasilianische Gesellschaft als unmöglich bewiesen hatten. So erließ der “Estado Novo” – ein autoritäres und stark nationalistisches Regime – nicht nur eine stark restriktive Immigrationsgesetzgebung, sondern griff auch in das Alltagsleben der Einwanderer und ihrer Nachkommen ein. Der Nationalisierungsfeldzug betrieb die uneingeschränkte Assimilation – betraf also alle Einwanderergruppen. Aber die Klagen über nazistische Umtriebe und der spätere Eintritt Brasiliens in den zweiten Weltkrieg gegen Deutschland hatten eine intensivere Repression in Gegenden mit deutscher Besiedelung zur Folge. In Santa Catarina waren die nationalisierenden Bestrebungen im Itajaí-Tal, das als größtes Beispiel für ein mangelndes Nationalgefühl angesehen wurde, besonders streng. Die ersten Maßnahmen trafen 1937 das Schulwesen mit dem Verbot des Unterrichts in deutscher Sprache und Austausch ausländischer Lehrer. Nach 1939 griffen weitere Maßnahmen in das Gemeindeleben ein. Man schloss Kultur- und Gesellschaftsvereine, verbot die deutsche Sprache und jedwede als ethnisch zu betrachtende Kundgebung. In einigen Städten wie z.B. Blumenau wurden Heeres-Truppen mit dem zusätzlichen Auftrag stationiert, Patriotismus und Bürgersinn anzuregen, wobei der Umbau von Schützenvereinen in provisorische Kasernen Empörung hervorrief.
Der Nationalisierungsfeldzug zerstörte die ethnische Grundlage des Gemeindelebens. Der Ausgang des Weltkrieges und die politische Veränderung nach Ende des Estado Novo schwächten die Nationalisierung ab, obwohl das Verbot der deutschen Sprache noch einige Zeit weiter bestand. Übrigens wurde Deutsch in Santa Catarina erst nach 1980 als Instrumentalsprache wieder gelehrt. Die Mehrzahl der kulturellen Vereinigungen, vor allem Gesangsvereine, waren verschwunden. Unter diesen Umständen ging die deutsche Sprache zurück, vor allem in Städten. Das Verbot betraf eine ganze Generation.
Der Nationalisierungsfeldzug rief eine Krise hervor, die langsam und in dem selben Maß überwunden wurde, wie die kulturellen Unterschiede und die ethnische Zugehörigkeit nicht mehr als Bedrohung der nationalen Einheit angesehen wurde. Der Gebrauch der deutschen Sprache nahm in der zweiten Hälfte des XX Jahrhunderts – zum großen Teil Folge der von Emilio Willems aufgezeigten hybriden Kultur. Sie wird weiterhin gesprochen im Familienkreis und im Nachbarschaftsverhältnis, in ländlichen Gegenden und in Städten mit bedeutender deutschstämmiger Bevölkerung, wie z.B. Pomerode, Blumenau, São Bento do Sul, Guabiruba, Brusque, Timbó, Indaial, Joinville usw. Außerdem wurden in den letzten Jahrzehnten einige Formen der kulturellen Eigenständigkeit bejaht, die an die Kolonisation erinnern. Es handelt sich meistens um Traditionen, die zuvor in Gesellschaftsvereinen gepflegt wurden und gegen die 1939 der Nationalisierungsfeldzug eingeschritten war. Es besteht auch ein Sinn für die Bewahrung des architektonischen Erbes aus Zeiten der Kolonisation. Dabei werden öffentliche Gebäude mit imitierter Fachwerkbauweise besonders kritisch betrachtet.
Auf der anderen Seite gibt es Veranstaltungen mit größerer Wirkung, die nur wenig mit der Bewahrung kultureller Werte im Alltagsleben der Einwanderer zu tun haben, wie das Oktoberfest in Blumenau und ähnliche in anderen Städten von Santa Catarina. Diese Veranstaltungen – eine „Neuerfindung”, die seit ungefähr 1980 stattfinden, haben geschäftliche und touristische Grundlagen und sind eine „Vitrine” der kulturellen Eigenheiten und der historischen Vergangenheit.
Die Nachkommen der Deutschen erinnern mit typischen Elementen wie kulinarischen Bräuchen, Volksmusik und –tanz an die Besonderheiten ihrer Volksgruppe und betonen die Kontinuität ihrer Tradition, die aus dem Prozess der Einwanderung hervorgegangen, heute aber in einer pluralistischen Gesellschaft eingebettet ist.
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